top of page
Suche

Nix verstehen

Caroline

Gestern hatten wir eine Kommunikationspanne: Das alte Handy, das Mina jeweils mitnimmt, um ihre Freunde zu besuchen, war wohl irrtümlich auf lautlos geschaltet. Jedenfalls konnte ich Mina nicht verstehen, als ich anrief um zu fragen, ob alles okay sei. Zwar konnte ich sehen, wie ihre Lippen sich bewegten, aber ich vernahm keinen Ton. -Gleichzeitig merkte ich, dass sie mich hörte. Deshalb sagte ich, dass ich sie nicht hören könne und etwas an ihrem Telefon wohl nicht in Ordnung sei. Um halb acht müsse sie jedenfalls zu Hause sein. Dann hängte ich auf.


Beim Abendessen versuchte es Romeo noch mit seinem Handy bei Mina. Wir sahen sie auf dem Heimweg, konnten aber immer noch nichts hören. Romeo wiederholte zweimal, dass sie jetzt heimkommen solle, und verabschiedete sich.


Fünf Minuten später läutet es an der Haustüre. Prima, Mina ist pünktlich zu Hause. Ich höre Romeo im Flur mit Mina sprechen. Doch dann taucht er alleine im Wohnzimmer auf. Seltsam. „Sie spinnt mal wieder,“ meint er konsterniert und verwirft die Hände. Als ich nachsehen gehe, treffe ich auf eine Mina mit düsterem Gesicht. Sie beginnt auf Romeo loszutreten. Roter Zustand, konstatiere ich automatisch. Was ich nun mache? Ich hole Minas Bettdecke, ihr Kuscheltuch und den Teddy. Dann versuche ich sie von Romeo loszueisen. Dies gelingt nicht im ersten Anlauf. Aber irgendwann kann ich Mina in unser Schlafzimmer abtransportieren und den Fernseher einschalten.


Nach ein paar Minuten wage ich einen Vorstoss. „Mina, was war denn los vorhin?“ Falsche Frage. Minas Gesicht verdüstert sich. „Papi ist so dumm! Ich habe ihn am Handy gefragt, was mit Mamis Handy los sei. Doch er ist so blöd, er sagte nur immer: Komm jetzt heim, komm jetzt heim.“ „O Mina, Romeo konnte dich doch auch nicht hören, so wie ich.“ Falsche Bemerkung. Minas Gesicht verdüstert sich und sie erwidert heftig: „Doch, doch, er konnte mich hören. Er ist blöd, er hat mir einfach nicht die richtige Antwort gegeben!“


Oje, oje… Alle Erklärungen dieser Welt könnten in diesem Zustand nicht zu Mina durchdringen. Dafür arbeitet mein Gehirn nun auf Hochtouren: Warum glaubt mir Mina nicht, dass Romeo sie nicht hören konnte? Und wieso fällt sie beim Heimkommen so hart in den roten Zustand?


Ich denke zurück… Als Mina mit ein oder zwei Jahren anfing zu sprechen, kam es öfters vor, dass sie uns etwas sagen wollte, was wir aber beim besten Willen nicht verstehen konnten. Wohl für jedes kleines Menschenkind frustrierend. Aber bei Mina kippte in diesen Momenten öfters wie ein Schalter, und sie warf wie im Film nur noch Spielsachen im Zimmer herum. Nichts konnte sie stoppen. Keine Ablenkung, keine beruhigenden Worte, nichts half.


Rückblickend waren das wohl die ersten Male, in denen Mina sichtbar in den roten Zustand fiel. Was sagt die Traumapädagogik zum Thema Trigger? Genau, sie sind tunlichst zu vermeiden. Half uns aber nicht weiter, denn wir versuchten ja schon wie die Häftlimacher, Mina zu verstehen.


Ob Mina heute Abend wohl das Gleiche passiert ist? Sie versuchte uns - übers Telefon - etwas zu sagen, das wir aber nicht verstehen konnten. Diesmal nicht wegen ihrer Aussprache, sondern aufgrund einer technischen Panne. Ich schätze, Mina war schon sehr gestresst, als ich zuerst anrief und sie einfach nicht verstehen konnte. Gelber Zustand, Bedrohungslage? Gut möglich, denn aus ihrer Sicht stand wohl etwas zwischen ihr und mir und „bedrohte“ unsere Beziehung. Als dann Romeo anrief und Mina von ihm wissen wollte, was mit meinem Handy los sei - ihr Versuch, die Bedrohungslage selbstwirksam zu beheben - und Romeo ihr keine vernünftige Antwort gab, sondern nur immer wieder sagte, sie solle jetzt heimkommen, muss sie in den roten Zustand gefallen sein. Ein nicht belastetes Kind in Minas Alter hätte sich wahrscheinlich sagen können, dass es am besten wäre, einfach mal heimzugehen. Dort könnte man dann ja weitersehen.


Ich schätze, ich habe es jetzt verstanden. Doch Mina ist heute Abend nicht mehr in der Lage, mit kühlem Kopf über das Vergangene zu sprechen. Deshalb kuschle ich mich noch etwas tiefer unter die Decke und geniesse die Zweisamkeit mit ihr. Dann bringe ich sie zu Bett und decke sie liebevoll zu. Heute Abend braucht sie es vielleicht ganz besonders.


Armer Romeo, sinniere ich, als Mina schläft. Er hat es nur gut gemeint und wurde für Mina trotzdem zum Bösewicht. Ob er heute Abend wohl auch eine Extraumarmung brauchen könnte…?




 
 
 

Komentar


bottom of page