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Die Baby-Shower

Caroline

Ich sitze in der Traumapädagogik-Weiterbildung und höre zu… Wir reden darüber, was ein Säugling braucht, damit er später zu einer innerlich sicheren Person werden kann. Wir zählen auf… Regelmässige Nahrung, Körperpflege, ein passender Wach-Schlaf-Rhythmus, verlässliche, vertraute und verfügbare Bezugspersonen. Was noch…? Wir kommen nicht selber darauf. Ach so, ja, die Nahrung muss auch von einer Drittperson zubereitet und das Essen gefüttert werden. Alles, was der Säugling tun kann, ist, die Nahrung selber zu schlucken. Alles andere muss von außen kommen. Jemand nennt einen umschreibenden Begriff dafür - ein Baby braucht umfassende Fürsorge.


Und was ist, wenn unserer stark belasteten Pflegekinder keine Säuglinge mehr sind? Die haben ja funktionierende Beine und können sich ihr Essen selber holen, wenn sie Hunger haben. Oder etwa nicht? Und sollen wir die Jacke eines neunjährigen Kindes an der Garderobe aufhängen, wenn es müde von einem langen Schultag nach Hause kommt und sie zu Boden wirft? Echt jetzt ?!? Muss es doch selber machen. Wir sind doch kein Hotel!


Es sei denn… Mal angenommen, unsere Pflegekinder wären als Säuglinge eben nicht mit der umfassenden Fürsorge gepflegt worden, die sie gebraucht hätten. Stabilität, Verlässlichkeit, Sicherheit, Verfügbarkeit wären nur brüchig vorhanden gewesen. Dann sind sie vielleicht irgendwie immer noch Säuglinge, auch wenn sie mittlerweile fünf, zehn und fünfzehn Jahre alt sind. Wenn sie noch nicht alleine essen könnten, würden wir sie füttern. Wenn sie noch zu klein wären, um ihre Jacke selber aufzuhängen, würden wir das selbstverständlich übernehmen. Ohne befürchten zu müssen, dass die Kinder deshalb später verzogene Rotzgören werden. Wir würden nämlich darauf vertrauen, dass die Babys schon immer grösser und selbständiger werden (wollen). Weil es die Natur weise so eingerichtet hat, dass auch schon ein kleines Menschenkind von sich sich aus alles selber machen will, sobald es dazu in der Lage ist.


Kennt ihr den Begriff der Baby-Shower? Bei einer Baby-Shower wird eine werdende Mutter von ihren Freundinnen mit Gaben fürs Muttersein überschüttet. Alles soll stimmig sein an so einem Anlass: Die Deko, die Geschenke, das Essen und die Getränke. So ähnlich stelle ich mir diese umfassende Fürsorge für ein Pflegekind vor. Mit dem Unterschied, dass nicht die werdende Mutter, sondern das Kind befürsorgt, überschüttet, grosszügig und überschwänglich gebadet oder geduscht wird, wenn wir den Begriff der Shower wörtlich übersetzen.


Würde das also bedeuten, ich mache es genau richtig, wenn ich immer mal wieder nach der neunjährigen Mina schaue, auch wenn sie gerade nicht nach mir ruft? Dass ich mich nicht aufregen müsste, wenn sie von hinen schreit: „Bitte ein Glacé bringen!“? Sondern einfach liebevolle Fürsorge betreiben und damit effektive Entwicklungshilfe leisten könnte? Und darauf vertrauen darf, dass das im Endeffekt Hilfe zur Selbsthilfe ist? Dann könnte ich Mina ihr Eis einfach in die Hand drücken, sie anlächeln und mir innerlich sagen: Ein Eis für die Entwicklungshilfe. Und darauf vertrauen, dass auch Mina sich ihr Essen irgendwann selber holen wird. Und wenn ich ihr den gewünschten Hotdog bringe, denke ich in Zukunft: Einmal Hotdog für die innere Sicherheit…


So kommt es, dass ich Mina heute Abend nicht so rasch als möglich abzufertigen versuche, als sie heimkommt. Diesmal gehe ich auf sie zu und frage, als sie sich auf mein Bett kuschelt: „Mina, was kann ich dir zum Essen oder Trinken bringen, damit es dir richtig gut geht?“ Wie so oft antwortet Mina: „Ich habe Hunger, aber ich weiss nicht was essen.“ Diesmal nerve ich mich nicht darüber, dass sie es mir so schwer macht, sondern sage: „Hmm… Das stelle ich mir schwierig vor, wenn man Hunger hat, aber nichts essen mag. Am schnellsten ginge es, wenn ich dir die Pizza Margherita von gestern Abend wärme. Was meinst du?“ „Okay, Mami,“ antwortet sie zu meinem Erstaunen. Dann isst sie die ganzen vier Stücke, die ich ihr bringe, auf, und ist zufrieden. Wir haben einen richftig schönen Abend. „I love you, Schnugu,“ sage ich einmal. Das mache ich öfters. Mina sagt nie etwas dazu. Doch heute antwortet sie ohne zu zögern: „I love you, Mami“. Und als ich aus ihrem Zimmer gehe, nachdem ich sie ins Bett gebracht habe, ruft sie mir noch einmal nach: „Ich liebe dich, Mami.“ Ein besonderer Abend.


Am nächsten Tag kommt mir eine Geschichte in den Sinn, die ich irgendwo gehört habe. Ich erzähle sie Mina: „Eine 14-Jährige verlangte von ihrer Pflegemutter eines Tages, dass diese sie füttern sollte. Die Pflegemutter tat das nach einigem Zögern.“ Mina lacht laut heraus. „Findest du das nicht mega komisch, Mami?“ fragt sie mich. „Eigentlich nicht,“ antworte ich. „Vielleicht hat ihr als Baby ja etwas gefehlt beim Gefüttertwerden oder bei der Säuglingspflege. Und deshalb hat es ihr gut getan, als sie das als Teenager ein bisschen nachholen konnte.“ Noch mehr muss Mina lachen, als ich ihr sage, dass die Teenagerin am nächsten Tag, als die Pflegemutter sie fragte, ob sie sie wieder füttern solle, antwortete: „Spinnsch, ich bin doch 14 und kein Baby mehr!!“ Fürsorge, solange sie nötig ist…



 
 
 

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