Mina hat in den Ferien vier deutsche Mädchen im gleichen Alter kennengelernt und unterhält sich prächtig: Die Kinder spielen und baden von morgens bis abends oder besuchen zusammen den Kinderclub. Für uns Pflegeeltern bedeutet das, dass wir nun auch unseren Interessen nachgehen können: Spazierengehen, lesen, im Meer schwimmen, Sport, träumen... Alles wunderbar. Wäre da nur nicht die Trikotfrage…
Der Vater von zwei der Mädchen ist in seiner Freizeit Fußballtrainer und trägt zur Badehose konsequent Fussball-Shirt, pardon, ein Trikot, wie die Norddeutschen dazu sagen. Mittlerweile haben alle vier Girls ihren Eltern dasselbe pink-violette Fussballtrikot des deutschen Fußballverbandes mit ihrem Vornamen darauf abgeschwatzt. Und natürlich kommt auch Mina bald mit dem Thema an. "Kann ich auch so ein Trikot haben...?" Anfänglich schwankt sie zwischen einem rot-grünen Ronaldo-Shirt und dem pinken Trikot, das die anderen haben. Denn eigentlich mag Mina kein Pink. Im Laden bringen wir in Erfahrung, dass ein Fussballtrikot 30 Euro kostet, plus 5 Euro extra, wenn man den eigenen Namen aufdrucken lässt. Ganz schön teuer… Romeo murmelt etwas von Abzocke in den Ferien und hofft, das Thema habe sich damit erledigt. Ich hingegen weiss, dass sich das Thema so kaum aus der Welt schaffen lässt.
Doch Romeo weigert sich entschieden, 35 Euro für ein T-Shirt zu bezahlen. Er ist überzeugt, dass er für 5 Euro ein ähnliches Shirt auf jedem lokalen Markt auftreiben könnte... Bloss, Mina will ja kein ähnliches, sondern genau das gleiche Fussballtrikot wie ihre Kolleginnen. Deutscher Fußballverband, was hast du dir bloss dabei gedacht…? Ich realisiere, dass ich mich von Mina und Romeo zwischen Stuhl und Bank habe manövrieren lassen. Wieder einmal. Denn Romeo lässt sich keinen Millimeter von seiner Ansicht abbringen, und Mina beharrt darauf, dass ich ihr das pinke Trikot bereits „versprochen“ hätte. Ich weiss, dass das nicht stimmt. Aber irgendetwas, das ich gesagt habe, war für Mina offenbar genau das, ein Versprechen. Erinnert ihr euch? Etwas "versprechen" und dann nicht halten ist für Mina das Gleiche wie "lügen"; etwas, worauf sie äusserst empfindlich reagiert und regelmässig in den roten Zustand fällt, wenn es dann nicht so ist, wie sie gedacht hat.
Unser lauschiger Sommerabend ist im Eimer. Daran kann auch der leckere Drink, den wir vor uns stehen haben, nichts mehr ändern. Mina würde jetzt eigentlich mit ihren Freundinnen spielen und hätte Spass. Doch nun weicht sie uns nicht von der Seite, und jammert alle paar Minuten von neuem: "Kann ich jetzt das T-Shirt haben? Du hast gesagt, wir bestellen es!" Ihr glaubt nicht, dass Minas Verhalten dem roten Zustand entspricht? Wärt ihr bloss dabei... Bei einem einem anderen Kind könnte ich sagen: "Genug jetzt, finde dich damit ab, dass Eltern manchmal verschiedene Meinungen haben. Du musst jetzt einfach warten." Wenn das Kind nicht aufhören würde, könnte man weglaufen und nichts mehr dazu sagen. Doch bei Mina würde dieses Verhalten ziemlich sicher zu einer immer höheren Eskalationsstufe führen, bis sie schliesslich mit Schreien und Schlagen auf uns losgehen würde. Deshalb - eindeutig roter Zustand.
Schön, dass ich das weiss. Leider hilft mir diese Erkenntnis nicht, nach 60 Minuten konstanten Gejammers die Nerven zu behalten und ruhig zu bleiben. Ich stehe abrupt auf und sage: "Ich halte das nicht mehr aus. Ich gehe jetzt für mich spazieren." Doch Mina kommt mir nach und redet einfach weiter und weiter. Wenn ich sie abzuschütteln versuche, fällt sie in Verzweiflung und rennt mir nach. Im Zimmer angekommen weint sie herzzerreissend und hört nicht mehr auf. Am liebsten würde ich laut schreien. Als ob das was nützen würde. Deshalb gehe ich ins Badezimmer, schliesse die Tür und versuche in Ruhe nachzudenken. Wie wäre es, wenn Mina 15 Euro von ihrem gesparten Sackgeld daheim beisteuern würde und wir 20 Euro? Romeo und Mina nicken; damit können beide leben. Wundersamerweise versiegen Minas Tränen von einem Moment auf den andern, und wir kehren zum T-Shirt-Laden zurück, wo wir nun das pinke Fussballtrikot bestellen.
Als wir zur Kasse gehen und ich die geforderten 35 Euro hervorkrame, meint die Verkäuferin: "Das pinke Shirt kostet bloss 20 Euro, nur das Ronaldo-Trikot wäre 35." Das hiesse ja… Genau, vielleicht hätten wir uns diesen schrecklichen Abend sparen können, wenn ich von Anfang an gefragt hätte, ob das pinke Trikot gleich viel kostet wie das rot-grüne...
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